ANGST auch vor dem IPReG

Wenn ein Mensch erkrankt, werden bisher an den Rand gedrängte Emotionen wie Angst und Hoffnung plötzlich zentral. Die Angst entsteht aus der Ungewissheit über den Verlauf der Krankheit und ihre möglichen Folgen, während die Hoffnung von der Sehnsucht nach einem positiven Ausgang der Erkrankung getragen wird. Diese beiden Gefühle prägen die emotionale Verfassung sowohl des Betroffenen als auch seiner Angehörigen. Beide befinden sich in einem Pendelzustand zwischen den Extremen Tod und vollständiger Heilung, was in dieser Phase eine erhebliche psychische Belastung darstellt.

Schädel-Hirn-Erkrankte sind in der Regel Langzeiterkrankte, die einer intensiven Pflege bedürfen und oft keine Aussicht auf vollständige Genesung haben. In diesen Fällen wird die beschriebene Angst zu einem lebenslangen Begleiter – sowohl für den Erkrankten als auch für seine Angehörigen. Diese Angst mag durch Gewöhnung nicht verschwinden, sie wird jedoch gemildert. Die Ungewissheit verwandelt sich in die Gewissheit, dass Ungewissheit bleibt; aus der Hoffnung auf Besserung wird die Akzeptanz des Erreichten. Trotz dieser Anpassungen bleibt ein deutlicher Hintergrund aus Angst und Hoffnung bestehen. Es entsteht ein erträglicher Zustand mit halbwegs stabiler emotionaler Verfassung – es sei denn, unerwartete Einflüsse bedrohen dieses fragile Gleichgewicht.

Innere Veränderungen, wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustands oder personelle Umstellungen in der Pflege, können zu plötzlichen Störungen führen. Äußere Einflüsse wiederum sind administrative Maßnahmen seitens des Gesetzgebers, wie etwa die Infragestellung der häuslichen Intensivpflege durch das RISG im Jahr 2019 oder die gegenwärtige Bedrohung häuslicher Intensivpflegearrangements durch das IPReG. Frau Rüffer hat als einzige Abgeordnete im Jahr 2020 die nahezu zwei Jahre andauernde Lebensangst der Betroffenen, der Erkrankten und pflegenden Angehörigen, nachvollziehbar beschrieben. Das Versetzen solcher Menschen aus ihrem häuslichen Umfeld in Heime ist eine Missachtung der Menschenwürde und ein gravierender Verstoß gegen fundamentale Menschenrechte.

Corinna Rüffer (MdB, Die Grünen) am 02.07.2020 als Zwischenfrage an Gesundheitsminister Spahn während seiner Rede zur abschließenden Beratung des IPReG.

„… Sie haben von Anfang an gewusst, dass es eine Gruppe von dauerhaft beatmeten Patienten gibt, bei denen es auch keine Entwöhnung geben kann, die zu Recht befürchtet hat … , dass es grundsätzlich die Möglichkeit geben soll, dass der MDK über eine Verlegung in besondere Wohnformen entscheiden können soll.

Jetzt muss man sagen, wir sind 50 Wochen später und diese Menschen haben 50 Wochen lang richtig Angst gehabt. Und (für) ihre familiären Strukturen … ist das richtig brutal hart.

Ich weiß nicht, Herr Minister, ob Sie sich vorstellen können, was es bedeutet, wenn Familien 50 Wochen lang, wenn Menschen 50 Wochen lang Angst davor haben, in ein Heim verlegt zu werden.

Warum haben Sie, Herr Minister, nicht vorher eingelenkt?

… Warum haben Sie diese Leute in Angst gelassen?

… Warum haben Sie dieses Leid verursacht, Herr Minister?“

Beispielhaft für die distanzierte Haltung der damaligen Regierung ist die Äußerung des ehemaligen Gesundheitsministers Spahn, er wolle seine Eltern im Alter nicht pflegen. Diese zwei Jahre der Überlebensangst, die Tausende von häuslich intensiv gepflegten Langzeiterkrankten sowie Pflegende und Angehörige erlebten, führten zu einer politischen Mobilisierung aller Betroffenen. Trotz der höheren körperlichen und emotionalen Belastung war dieses kräftezehrende Engagement notwendig, um Politiker, die Menschen mehr als sachliche Kostenfaktoren betrachteten, zur Besinnung zu bringen.

Das unsägliche und lebensbedrohliche RISG, das den Zwang zur Heimverlegung und die Abschaffung der häuslichen Intensivpflege vorsah, wurde durch das IPReG ersetzt. Dieses Gesetz ermöglicht zwar weiterhin die häusliche Intensivpflege, knüpft jedoch an zahlreiche, teils herausfordernde Bedingungen. Die zuvor lebensbedrohlichen Regelungen des RISG, begleitet von menschenunwürdigen Angstzuständen, wurden durch das IPReG zunächst deutlich entschärft. Dennoch hat das IPReG zunehmend angstauslösende Tendenzen angenommen. Die dem Gesetz nachfolgenden Regelungen erschweren schrittweise die häusliche Intensivpflege, und so baut sich allmählich wieder ein Angstniveau auf, ähnlich dem der RISG-Zeiten. Es ist, als wäre der Tod durch Erhängen durch den Tod durch Verhungern ersetzt worden. Langzeitbeatmete sollen wieder auf Normalatmung zurückgeführt werden, was mit einem russischen Roulette für das Leben dieser Menschen gleichkommt, und Todesängste verursachen kann.

Die Anforderungen an die häusliche Intensivpflege, sowohl personell als auch sachlich und organisatorisch, werden derart verschärft, dass immer weniger Intensivpflegefälle in der Häuslichkeit ankommen oder dort verbleiben können. Neue, subtilere Ängste sind entstanden, die durch die vielfältigen Angriffspunkte des IPReG auf die häusliche Pflegesituation noch verstärkt werden. Es ist zwingend erforderlich, die politischen Entscheidungsträger auf das weiterhin menschenunwürdige Leben in Angst und Ungewissheit hinzuweisen, welches sie durch ihre gesetzgeberische Flickschusterei in Form des IPReG verursachen. Es ist Zeit für einen grundlegenden Wandel – Zeit für eine menschenwürdige Korrektur des IPReG und der zugehörigen Regelungen.

Dr. Manfred Schlich

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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