Organspende: Widerspruchsregelung ignoriert Selbstbestimmung

Die Widerspruchsregelung bei der Organspende ist aus mehreren Gründen übergriffig und rechtlich problematisch. Der Gesetzgeber plant, alle Bürger automatisch als Organspender zu behandeln, es sei denn, sie widersprechen ausdrücklich. Diese Regelung basiert jedoch auf falschen Annahmen über die Organspende-Bereitschaft in der Bevölkerung und unterstellt eine Zustimmung, die so nicht gegeben ist.

Zentraler Kritikpunkt ist die irreführende Interpretation von Umfrageergebnissen. Der Gesetzgeber stützt sich auf Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2022, wonach 84 Prozent der Befragten einer Organ- und Gewebespende positiv gegenüberstehen. Diese Zahl bezieht sich jedoch nur auf eine allgemeine Meinung zur Organspende und nicht auf eine konkrete Bereitschaft, selbst Organe zu spenden. Tatsächlich haben nur 44 Prozent der Befragten eine Entscheidung für die Organspende getroffen, wobei diese Zahl aufgrund sozialer Erwartungen möglicherweise überhöht ist. In der Praxis liegen die tatsächlichen Organentnahmen jedoch weit niedriger, da nur 22 Prozent der Spenden auf einer dokumentierten Zustimmung basieren. Die Behauptung des Gesetzgebers, eine breite Zustimmung zur Organspende existiere, ist also nicht korrekt.

Ein weiterer zentraler Punkt der Kritik betrifft den sogenannten „Hirntod“. Vor der Organentnahme wird nicht der Tod im klassischen Sinne festgestellt, sondern der irreversible Hirnfunktionsausfall. Diese medizinische Definition des Todes ist jedoch stark umstritten. Patienten mit Hirntod weisen häufig noch viele vitale Körperfunktionen auf, wie etwa die autonome Herzfunktion, Stoffwechsel und sogar die Fähigkeit zur Wundheilung. In seltenen Fällen können hirntote Frauen sogar über Monate hinweg ein Kind austragen und gebären. Diese medizinischen Fakten widersprechen dem allgemeinen Verständnis von Tod und werfen erhebliche Zweifel an der Gleichsetzung von Hirntod und dem Tod des Menschen auf. Der Gesetzgeber verschweigt diese ethischen und wissenschaftlichen Kontroversen jedoch weitgehend in der öffentlichen Aufklärung, was zu einer verzerrten Wahrnehmung bei den Bürgern führt.

Die rechtlichen Grundlagen der Aufklärung über die Organspende sind ebenfalls problematisch. Laut Transplantationsgesetz muss vor einer Organentnahme der Tod festgestellt werden. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen dem Hirntod und dem Tod im klassischen Sinne. Diese Unterscheidung wird in der offiziellen Aufklärung nicht ausreichend berücksichtigt. Die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Feststellung des Hirntodes sind laut dem Gesetzgeber gesetzeswidrig, da sie keine hinreichende wissenschaftliche Begründung enthalten, wie es das Transplantationsgesetz vorschreibt. Der Gesetzgeber informiert die Bevölkerung nicht ausreichend über diese Kontroversen, sondern fördert ein vereinfachtes Hirntodkonzept, das als sichere Todesfeststellung präsentiert wird, ohne die bestehenden Zweifel offenzulegen.

Die Einführung der Widerspruchsregelung setzt voraus, dass die Bevölkerung umfassend und ehrlich informiert wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Laut der BZgA-Umfrage von 2022 fühlen sich fast 45 Prozent der Bürger schlecht oder gar nicht über die Organspende informiert. Besonders problematisch ist dies für bildungsferne Schichten, die von Informationskampagnen nur unzureichend erreicht werden. Es ist offensichtlich, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht in der Lage sind, eine fundierte Entscheidung zur Organspende zu treffen, weil ihnen die notwendigen Informationen fehlen. Dennoch will der Gesetzgeber diese Menschen ohne ihre ausdrückliche Zustimmung als Organspender behandeln. Dies stellt einen unzulässigen Eingriff in die Selbstbestimmung dar.

Der Zwang, eine Entscheidung zur Organspende treffen zu müssen, überfordert viele Menschen, da die komplexe und kontroverse Thematik um den Hirntod schwer verständlich ist. Die Widerspruchsregelung würde viele Bürger, die sich dieser Problematik nicht bewusst sind oder nicht ausreichend informiert wurden, zu unfreiwilligen Organspendern machen. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das negative Selbstbestimmungsrecht, das jedem Bürger das Recht gewährt, keine Entscheidung treffen zu müssen.

Die geplante Widerspruchsregelung wäre ein schwerwiegender Eingriff in die Selbstbestimmung der Bürger und signalisiert, dass der Staat bei einem so sensiblen Thema wie der Organspende, das die körperliche Integrität betrifft, die individuelle Entscheidungsfreiheit der Bürger nicht ausreichend respektiert. Dieser Ansatz des Gesetzgebers ist sowohl ethisch als auch rechtlich nicht vertretbar und zeigt ein unverantwortliches Vorgehen in einem Bereich, der fundierte, freiwillige und informierte Entscheidungen erfordert.

 

Quellen: Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ-Einspruch, “Die Widerspruchsregelung bei der Organspende ist übergriffig” von Rainer Beckmann und Jürgen in der Schmitten, 19.09.2024

Rainer Beckmann ist Richter am Amtsgericht Würzburg und lehrt Medizinrecht an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.

Prof. Dr. Jürgen in der Schmitten ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Palliativmediziner und Psychotherapeut. Er leitet das Institut für Allgemeinmedizin an der Universitätsklinik Essen.

Der Originalartikel ist abrufbar unter

Kritische Aufklärung über Organtransplantation KAO e.V.
https://initiative-kao.de/die-widerspruchsregelung-bei-der-organspende-ist-uebergriffig/

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