Kassengipfel zur außerklinischen Intensivversorgung

Am 20.09.2023 fand in Berlin die Veranstaltung „Kassengipfel zur außerklinischen Intensivversorgung – Geht es wirklich um Qualität?“ statt. Leider hat nur ein engagierter Kassenvertreter an der Veranstaltung teilgenommen, die anderen Krankenkassenvertreter wollten sich wohl der schwierigen Diskussion mit Fachleuten und Betroffenen entziehen. Schade, aber vor vorhandenen Problemen die Augen zu verschließen oder wegzulaufen, war noch nie eine Lösung! Umso erfreulicher war die Teilnahme von Kordula Schulz-Asche (MdB), die sich der Problematik gestellt hat und den Teilnehmern ihre teils auch persönliche Sichtweise erläuterte. Für dieses Engagement bedanken wir uns recht herzlich!

Jetzt möchte ich aber über die äußerst interessante Veranstaltung berichten, an der ich online teilgenommen habe. In dem ersten Vortrag schilderte Katharina Dezelske, Mutter einer beatmeten Tochter, in einem sehr persönlichen Bericht, wie es einer (ihrer) Familie gegenwärtig geht, mit einem auf Intensivpflege angewiesenen Kind. Sie beschrieb sehr anschaulich, in Tabellen grafisch dargestellt, zuerst das Zeitmanagement einer „normalen“ Familie mit Kind(ern). Auch da muss für einen funktionierenden Tagesablauf einiges organisiert werden.

Das Familienmanagement wird mit einem beatmeten Kind zum umfangreichen Case-Management, wobei dieses von den Eltern zu leisten ist. Wenn diese dann auch noch umfangreiche Pflegetätigkeiten aufgrund von Pflegekraftausfällen übernehmen müssen, führt das dazu, dass aus einer berufstätigen „Teilzeit-Mutti“ eine „zu-Hause-bleiben Mutti“ wird, deren Einkommen dann fehlt. Da stellt sich die Frage: Ist das normal?

Leider ist das die Realität und gilt auch für Ehepartner, die ihren intensivpflegebedürftigen Mann (oder teilweise auch ihre Frau) zuhause pflegen. Die Situation für die Familien ist durch das GKV-IPReG fast unerträglich geworden. Hier würde ein strukturiertes, interdisziplinäres, bürokratiearmes Case-Management hilfreich sein!

Der zweite Vortrag von unserem Vorstandsmitglied Sebastian Lemme hatte den Titel: „Die Zukunft der Arbeitgebermodelle nach dem 30.10.2023. Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenversicherung.“ In seiner Einleitung schilderte er das Prinzip und die Wirkung des Gesundheitsfonds und das betriebswirtschaftliche Handeln der GKV. Im Hauptteil erläuterte er die Anspruchsvoraussetzungen für Außerklinische Intensivpflege (AKI) nach §37c SGB V wie Potenzialerhebung, Verordnung und Qualifikation der leistungserbringenden Person.

Was sind die Folgen bei Abweichungen von den Voraussetzungen?

Sofern keine Potenzialerhebung vorliegt fehlt es nach dem Gesetz an einer zwingenden Voraussetzung zur Verordnung von AKI. Wenn die Krankenkasse die Regelung des §5a der AKI-Richtlinie (befristet bis zum 31.12.2024 gilt, dass die Potenzialerhebung vor jeder Verordnung durchgeführt werden soll (nicht muss!)) nicht akzeptiert und sich auf das Gesetz beruft, könnte AKI verweigert werden. Falls die leistungserbringende Person nicht die geforderte Qualifikation hat, z.B. bei Pflegehelfern im Arbeitgebermodell, können diese Zeiträume nicht von den Krankenkassen im Rahmen der AKI finanziert werden. Bislang wurde der Einsatz von Pflegehelfern im Persönlichen Budget von den Krankenkassen im Rahmen der HKP (Häusliche Krankenpflege) Richtlinie akzeptiert und bezahlt. Unser Verband befürchtet, dass mehrere große Krankenkassen versuchen werden, die krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen in den Leistungsbereich anderer Leistungsträger zu verschieben. Auch wenn die Tätigkeit von Pflegehelfern nicht im Rahmen von AKI (gem. §37c SGB V) erfolgen kann, so bleiben die Krankenkassen jedoch leistungsverpflichtet im Rahmen der HKP als Behandlungspflege. Dazu hat unser Verband ein Gutachten bei Prof. Trenk-Hinterberger in Auftrag gegeben, welches zur Durchsetzung des Anspruchs vor Gericht dienen soll. Das Gutachten stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung.

Handlungsempfehlung unseres Verbandes

Um den Versorgungsabbruch bestehender Versorgungen zu vermeiden, sollten ärztliche Verordnungen „abgestuft“ erfolgen. Zunächst sollte AKI nach §37c SGB V verordnet werden, hilfsweise „qualifizierte“ oder auch „einfache“ Krankenbeobachtung gemäß §37 II SGB V. Bei Verweigerung sollte anwaltliche Hilfe eingeholt werden. Unser Verband hat ein Netzwerk von qualifizierten Anwälten organisiert und strebt einen Musterprozess an.

Forderung an die Gesetzgebung

  • Verlängerung der Frist des §37c SGB V auf den 31.12.2025
  • Auftrag an den GBA (Gemeinsamen Bundesausschuss) die „qualifizierte“ sowie die „allgemeine, einfache“ Krankenbeobachtung als Ziffern 24.a) und 24.b) in den Leistungskatalog der HKP-RL aufzunehmen

Wir haben auf unserer Homepage eine eigene Rubrik „IPReG“ eingerichtet, dort können Sie alle Artikel zu diesem Thema nachlesen!

In einem dritten Vortrag von Markus Behrendt (Vater eines invasiv beatmeten, jungen Menschen) ging es um das Thema „Qualitätsverbesserung oder Leistungsversagen – Was bringt die Einführung der AKI?“

Seine bebilderten Ausführungen gliederte Herr Behrendt in zwei wichtige Bereiche:

  • Versorgungssituation und Versorgungshindernisse bei Einführung der AKI
  • Gesetzlicher Änderungsbedarf zur Sicherstellung der Versorgung

Herr Behrendt erläuterte die medizinische Versorgungslage, die Übergangsregelungen und die Versorgungshindernisse und kam zu dem Ergebnis, dass eine flächendeckende medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist. Auch die pflegerische Versorgung ist durch den Fachkräftemangel und die hohen Qualitätsanforderungen bei häuslicher und familiärer Versorgung nicht immer sichergestellt

Zur Sicherstellung der Versorgung besteht gesetzlicher Änderungsbedarf u.a. beim leistungsrechtlichen Personenkreis, für die Potenzialerhebung die Einführung einer rechtlich gesicherten Übergangsregelung von zwei Jahren und bei der pflegerischen Versorgung das Recht der eigenen Auswahl der Assistenzkräfte im Arbeitgebermodell in der eigenen Häuslichkeit.

Die Verbände der Selbsthilfe und der Behindertenhilfe fordern die Mitglieder des Gesundheitsausschusses in einem gemeinsamen Schreiben auf, den §37c SGB V, wie darin beschrieben, anzupassen.

Diese Veranstaltung war wieder hochinteressant und informativ und wir alle hoffen, dass die Politik endlich dafür sorgt, dass alle bestehenden Versorgungen auch nach dem 30.10.2023 rechtssicher weitergeführt werden können und es keine Versorgungsabbrüche gibt. Denn das wäre für die Betroffenen existenzgefährdend.

Roswitha Stille

Hier der Link für die Präsentation von Sebastian Lemme >

image_pdfPDFimage_printDrucken