Phase E liegt nach 19 Jahren nun als Empfehlung vor

Phase E 2014Bereits 1995 wurde das erste Konzept der neurologischen Rehabilitation entwickelt. Neben dem damaligen Verband Deutscher Rentenversicherungsträger wurde durch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) die ersten Beratungen durchgeführt. So wurde begonnen für die Menschen mit schweren Hirnschädigungen die heute bekannte Phaseneinteilung (VDR 1995) zu entwickeln.

Nachdem Stand der heutigen Entwicklung werden durch die BAR unterschieden:

6 Phasen der neurologischen Akut- und Rehabilitationsbehandlung

Phase A – Akutbehandlungsphase mit ersten rehabilitativen Ansätzen

Phase B – Behandlungsphase, in der noch intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten vorgehalten werden müssen

Phase C – Behandlungs- und Rehabilitationsphase, in der die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden bereits in der Therapie mitarbeiten können, aber noch kurativmedizinisch und mit hohem pflegerischen Aufwand betreut werden müssen

Phase D – Rehabilitationsphase nach Abschluss der Frühmobilisation ( medizinische Rehabilitation im bisherigen Sinne – stationär oder ambulant)

Phase E – Behandlungs- und Rehabilitationsphase nach Abschluss einer medizinischen Rehabilitation; Leistungen zur Sicherung des Erfolges der medizinisch-therapeutischen Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beziehungsweise zur Teilhabe an Erziehung und Bildung sowie am Leben in der Gemeinschaft

Phase F Behandlungsphase, in der dauerhaft unterstützende, betreuende und/oder zustandserhaltende Leistungen erforderlich sind (Langzeitpflege)

(Quelle: BAR 2013 Empfehlungen Phase E der neurologischen Rehabilitation)

Trägerübergreifend wurden die Inhalte der Empfehlungen zur neurologischen Rehabilitation ….. in den Phasen B und C (BAR 1999), sowie zur stationären Langzeitpflege …… in der Phase F (BAR 2003) beschrieben. Darüber hinaus liegen die Rahmenempfehlungen zur ambulanten neurologischen Rehabilitation (BAR 2005) und die Empfehlungen zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation (BAR 2011) in der Neurologie vor.

Aus Sicht der Selbsthilfe betrachten wir das Erscheinen der Empfehlungen der Phase E als überfällig. Seit Jahren gibt es immer wieder den Kampf von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden die bereits in der stationären Rehabilitation Erreichte in der ambulanten Nachsorge nachhaltig zu festigen bzw. zu verbessern. Hier bedarf es einiger Überlegungen seitens der Leistungsträger, wie die jetzt vorliegenden Empfehlungen trägerübergreifend umgesetzt werden müssen.

In unserer ersten Betrachtung möchten wir uns auf die Teilhabe am Arbeitsleben konzentrieren.

Eine der ersten Erkenntnisse finden wir in der Hervorhebung

Die vorliegenden trägerübergreifenden Empfehlungen bilden die Vielfalt der neurologischen Erkrankungen ab, die individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können. Damit werden auch diejenigen Menschen erfasst, deren Beeinträchtigungen nicht auf Anhieb erkennbar sind, zum Beispiel Menschen mit Sprachstörungen oder psychischen Erkrankungen aufgrund einer Hirnschädigung. Die Empfehlungen beschreiben unter anderem den Inhalt, die Patientencharakteristika und die Leistungsvoraussetzungen für die Phase E der neurologischen Rehabilitation. Im Mittelpunkt steht der Mensch mit der neurologischen Verletzung, Erkrankung oder Behinderung unter Berücksichtigung seiner realistischen und alltagsrelevanten Teilhabeziele: die Erreichung und Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben, der Teilhabe an Erziehung und Bildung sowie der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Ein weiteres Ziel ist die nachhaltige Sicherung des Behandlungs- und Rehabilitationserfolges der vorangegangenen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Insbesondere bei neurologisch erkrankten Menschen bedarf es eines multimodalen, das heißt methodisch vielgestaltigen und flexiblen Behandlungsansatzes. Dies betrifft sowohl die Therapieinhalte, die Wahl des Therapieortes, die Gestaltung der Therapieintensität und deren Frequenz. Hierbei ist auch der Einfluss umwelt- und personbezogener Faktoren auf die jeweils individuellen teilhabebezogenen Ziele zu berücksichtigen. Die Menschen mit neurologischen Erkrankungen oder Verletzungen sollen in allen Lebensbereichen in ihrem Sozialraum möglichst selbstständig und selbstbestimmt teilhaben.“

Als Leitgedanken wird die Inklusion in den Mittelpunkt gestellt. Das wird unterstrichen durch

Inklusion im beruflichen Kontext

Bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist Zielsetzung, Beschäftigungsfähigkeit zu erreichen.

Das heißt, dass alle Kompetenzen einer Person berücksichtigt werden, die es ermöglichen, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen und im Unternehmen wertschöpfend und leistungsfähig zu arbeiten.

Für Menschen mit neurologischen Erkrankungen und Behinderungen kommen insbesondere folgende Leistungen in Betracht beziehungsweise sind folgende Rahmenbedingungen relevant:

  • enge Kooperation der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers mit den behandelnden (Fach-) Ärztinnen und Ärzten sowie Therapeutinnen und Therapeuten,

  • Arbeitsplatzanpassung mit Unterstützung von Therapeutinnen und Therapeuten sowie die Nutzung von Hilfsmitteln und/oder assistiven Technologien am Arbeitsplatz,

  • betriebliches Eingliederungsmanagement,

  • regelmäßige (Neu-)Ausrichtung des Arbeitsplatzes und der Aufgabenanforderung ohne Über- oder Unterforderung,

  • persönliche Arbeitsplatzassistenz,

  • gegebenenfalls therapeutische Interventionen am Arbeitsplatz,

  • regelmäßige Fort- und Weiterbildung.

(Quelle: BAR 2013, Phase E der neurologischen Rehabilitation)

 

Da die Individualität jedes Menschen mit neurologischen Erkrankungen in Betracht gezogen werden muss, sind in besondere Weise die individuellen Kontextfaktoren konkret heran zu-ziehen.

Da können wir auf die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (WHO: ICF) zurückgreifen.

Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund einer Person dar. Sie umfassen alle Umweltfaktoren und personbezogenen Faktoren, die die Krankheitsauswirkungen beziehungsweise die Funktionsfähigkeit positiv wie negativ modellieren können und somit für eine umfassende Teilhabe auch der Personen mit einer neurologischen Erkrankung von Bedeutung sein können.

Umweltfaktoren beziehen sich auf die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der die Menschen ihr Leben gestalten. Hierzu zählen beispielsweise

  • Hilfsmittel zur Selbstversorgung und Haushaltsführung, Hilfsmittel für die persönliche Mobilität, Hilfsmittel zur Kommunikation, Information und Ausgleich visueller Einschränkungen,

  • die Infrastruktur, Wohn-, Geschäfts- und öffentliche Gebäude, Transportwege, Straßen,

  • das Vorhandensein oder Fehlen unterstützender und helfender Personen wie Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Freunde, Mitglieder von Selbsthilfegruppen,

  • Einstellungen und Überzeugungen von Personen im Umfeld des Betroffenen,

  • Vorhandensein oder Fehlen von lokalen oder regionalen Rehabilitationsdiensten öffentlicher oder privater Art.

 

Personbezogene Faktoren sind von der WHO wegen der mit ihnen einhergehenden großen soziokulturellen Unterschiedlichkeit in der ICF bislang nicht systematisch klassifiziert. Beispielhaft werden aber einige wenige Items von der WHO aufgelistet.

Legt man diese zugrunde, könnte man sich unter den personbezogenen Faktoren Eigenschaften einer Person vorstellen, die einen Bogen spannen von  

  • allgemeinen Merkmalen einer Person wie Alter, Geschlecht und genetischen Faktoren über

  • physische Faktoren, wie Körperbau und andere physische Faktoren, die insbesondere das körperliche Leistungsvermögen beeinflussen können (zum. Beispiel Muskelkraft, Herz- Kreislauffaktoren),

  • mentalen Faktoren im Sinne von Faktoren der Persönlichkeit und kognitiven sowie mnestischen Faktoren,

  • Einstellungen, Grundkompetenzen und Verhaltensgewohnheiten dieser Person bis hin zur Lebenslage und sozioökonomische/kulturelle Faktoren.

Andere Gesundheitsfaktoren, wie sie die WHO vorschlägt, könnten den personbezogenen Faktoren zugeordnet werden, wenn sie geeignet sind, die aktuelle Funktionsfähigkeit zu beeinflussen, aber nicht Teil des Gesundheitsproblems sind.

 

Wir hoffen auf ein Trägerübergreifendes Zusammenwirken

Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen hoffen auf die aktive Teilhabe am Arbeitsleben. Dafür haben sie möglicherweise vieles auf sich genommen. Gemeinsam mit der Familie, mit Leistungsträgern und Leistungserbringern wurden einzelne Ziele in Angriff genommen. Es kam und es kommt auf die „Gemeinsamkeit“ an.

Aus diesem Grunde bedarf somit einer besonderen Berücksichtigung des Aspektes der Verzahnung und Vernetzung der verschiedenen Versorgungssektoren und -strukturen. Dementsprechend sollten regionale beziehungsweise sozialraumorientierteKooperationen und vernetzte Zusammenarbeit in der Phase E bestehen.

Wir, als Betroffene, Angehörige und/oder Betreuer, müssen wissen was zu tun ist. Wir sollten uns immer orientieren und auch den Verlauf in den einzelnen Bereichen kennen.

Die unterschiedlichen Teilhabebereiche sind vielfach mit einem Wechsel des zuständigen Leistungsträgers verbunden beziehungsweise erfordern Leistungen von unterschiedlichen Leistungsträgern.

Die Träger müssen die für ihre Entscheidung zur Leistungserbringung erforderlichen

Informationen rechtzeitig erhalten. Um ein nahtloses und inhaltlich abgestimmtes Verfahren sicherzustellen, arbeiten die beteiligten Träger eng zusammen und die notwendigen Abstimmungen erfolgen zeitgerecht. Die Prozess- und Koordinierungsverantwortung für diesen Aufgabenbereich liegt beim aktuell zuständigen Leistungsträger. Dieser ist auch dafür verantwortlich, dass die Beteiligung eines anderen Leistungsträgers unter aktiver Einbeziehung der betroffenen Menschen rechtzeitig eingeleitet wird („Übergabemanagement“).“

Auch wenn hier alles klar und deutlich geschrieben steht, gehen wir auch künftig davon aus, dass wir um unser Recht auf Rehabilitation bemühen müssen. Und deshalb ist zu empfehlen: Rechtzeitig selbstbestimmt handeln!

 

Eine inklusionsorientierte nachhaltige Gestaltung der Phase E erfordert von allen

  • ein auf Prävention und Gesundheitsförderung ausgerichtetes Denken und Handeln, auch unter den Gesichtspunkten „Prävention vor Rehabilitation“ und „Rehabilitation vor Pflege“,

  • eine frühzeitige Bedarfserkennung, Bestimmung der Teilhabeziele und Klärung der Trägerzuständigkeit,

  •  eine trägerübergreifende Ausrichtung an dem umfassenden Ziel, Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern.
  • eine trägerübergreifend wirksame individuelle und partizipative Teilhabeplanung, insbesondere auch unter Zugrundelegung der Maßgaben der Gemeinsamen Empfehlungen nach dem SGB IX,

  • einen barrierefreien24 Zugang zum Leistungsangebot,

  • eine bedarfsgerechte Ausführung der erforderlichen Leistungen (als Sach- oder Geldleistung/ Persönliches Budget, in ambulanter oder stationärer Form, Beratung und Information, gegebenenfalls auch Vermittlung von Selbsthilfeangeboten),

  • die Berücksichtigung und Ausrichtung an den Anforderungen und Kriterien der Qualitätssicherung.

 

Lothar Ludwig
Januar 2014