Wachkoma und andere neurologische Bewusstseinsstörungen
Die Veranstaltung wurde von Frau Elke Feuster, im Namen der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG Phase F e. V. und der Alexianer GmbH Köln eröffnet.
Anschließend begann Herr Alireza Sibaei (OT BSc., NR MSc.) der Direktor des DIWF mit seinem Vortrag „Wachkoma“ aktueller Zustand der Forschung.
Er berichtete über die Entwicklung der Bezeichnung des Krankheitsbildes, begonnen beim Appalischen Syndrom bis hin zum Terminus „ Syndrom Reaktionsloser Wachheit“.
Einige Patienten mit schweren Schädigungen des zentralen Nervensystems erwachen aus dem Koma (z. B. Öffnen der Augen), zeigen aber sonst keine bewussten, aufrechterhaltenen, reproduzierbare, zielgerichteten oder gewollten Reaktionen auf visuelle, auditive, taktile oder schädliche Reize . Dieses Krankheitsbild wird als „Apallisches Syndrom“ (AS) oder „Wachkoma“ bezeichnet.
Dieser Begriff wurde im englischsprachigen Raum mehrmals überarbeitet, da die Begriffe das Krankheitsbild nicht differenziert genug beschreiben.
Jennet und Plum führten 1972 den heute international akzeptierten Begriff des persistent vegetative state (PVS) ein.
Da die Abkürzung des Begriffes zwei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zulässt, „persistent vegetative state“ (andauernder vegetativer Zustand) und „permanent vegetative state“ (ständiger vegetativer Zustand), welche beide negative Assoziationen hervorrufen, stellte sich auch dieser Begriff als keine optimale Lösung da.
Neurobehaviorale Untersuchungen und neue bildgebende Verfahren haben eindrücklich nachgewiesen, dass einige Patienten mit Bewusstseinstörungen, im Gegensatz zu Patienten im vegetativen Zustand doch gelegentlich auf äußere Reize reagieren können.
Bei der Patientengruppe spricht man von Patienten im minimal bewussten Zustand. ( von ASPEN 2002 als „minimally Conscious State“)
Dieser Zustand kann eine Phase innerhalb eines Erholungsprozesses sein, oder aber auch als Dauerzustand bestehen bleiben. Die Patienten im minimal bewussten Zustand zeigen begrenzte, aber klar erkennbare Zeichen der Wahrnehmung von sich oder ihrer Umgebung auf einer mehr oder weniger reproduzierbaren Basis.
Nach Auffassung der von Giuliano Dolce 2009 gegründeten European Task Force on Disorders of Consciousness, wurde im Jahr 2010 der neue Begriff “ Unresponsive Wakefulness Syndrome“ entwickelt.
Der Terminus „Syndrom Reaktionsloser Wachheit“, analog dem englischen Begriff „unresponsive wakefulness syndrome, UWS“, trifft am besten das charakteristische Vollbild neurologisch-verhaltensneurologischer Beeinträchtigungen infolge schwerster Hirnfunktionsstörungen, deshalb ist auch das DIWF dafür, dass dieser Begriff im deutschsprachigen Raum genutzt wird.
Des Weiteren berichtete Herr Sibaei über den aktuellen Stand der Forschung im Bereich des „Wachkomas“.
Die Wissenschaft befindet sich bei der Erforschung des „Wachkomas“ noch ganz am Anfang. Was im Gehirn in diesem Zustand vor sich geht, ob der Patient vielleicht doch Empfindungen hat und wie er möglicherweise seine Außenwelt wahrnimmt, liegt nach wie vor im Dunkeln, da das Bewusstsein schwer zu erfassen ist.
Eine der neusten Techniken (perturbational complexity index PCI), die die Komplexität der neuronale Aktivität des Gehirns misst, könnte Ärzten helfen den Bewusstseinszustand bei Patienten unter Narkose oder im Koma/Wachkoma zu messen und ggf. die Diagnostik erleichtern.
In dem 2. Vortrag ging Herr Bastian Foppe, Ergotherapeut der Im Haus Christophorus der Alexianer tätig ist auf die Schwierigkeiten bei der Differetialdiagnostik durch „Neurologische Assessments für Menschen im Syndrom reaktionsloser Wachheit“ ein.
Das Deutsche Institut für Wachkoma- Forschung hat in der Arbeit mit Patienten im UWS in der Langzeitbetreuung ein Assessment gesucht. Dieses sollte den Behandlungs-/ Rehabilitationsverlauf darstellen, hilfreich in der Planung von Therapien sein, Ressourcen aufzeigen und den Bewusstseinszustand von Menschen im Syndrom reaktionsloser Wachheit beurteilen können.
Hier hat das Institut zwei Assessments ausgewählt, die in Deutschland und Europa für die Befundung von Patienten im Syndrom reaktionsloser Wachheit bekannt sind und am meisten Verwendung finden.
Er stellte das EFA Skala vor, welche im Jahre 1996 auf dem NEUROREHAB-Kongress veröffentlicht wurde. Sie wurde von einem multiprofessionellen Team aus der Schweiz entwickelt und ursprünglich für die Frührehabilitation konzipiert, wird nun aber auch in dem Bereich der Langzeitbetreuung von Patienten im Syndrom reaktionsloser Wachheit angewendet. Bei der EFA- Skala hatte das Team des DIWF Probleme in der genauen Bewertung von Behandlungsverläufen. Für sie waren die Schritte der Abstufungen zu groß. Die Bereiche, die beurteilt werden sollten, sind für Patienten im Syndrom reaktionsloser Wachheit teils zu komplex. Als positiv bewertete das Team die schnelle Durchführung und dass die Skala für jeden kostenlos zur Verfügung steht. Abschließend wurde noch darauf hingewiesen, dass die EFA in dem Bereich der Frührehabilitation sehr sensibel ist.
Zum zweiten hat das DIWF über einen langen Zeitraum die CRS- R (Coma Recovery Sclae- Revised) durchgeführt. Hier handelt es sich um ein Assessment, welches von dem Neuropsychologen Joseph T. Giacino im Jahre 2004 entwickelt wurde. Sie dient der Einschätzung des Bewusstseinszustands und der kognitiven Leistungen von Patienten. In den Testungen fiel auf, dass die Skala sehr auditiv ausgelegt ist und zudem viel Wert auf die motorischen Funktionen legt. Beides können wir bei Patienten im Syndrom reaktionsloser Wachheit nicht sicher voraussetzen. Dies zeigt, dass auch die CRS-R nicht die „perfekte“ Skala zum Messen der Behandlungsverläufe in der Langzeitbetreuung ist. Daraus schloss das Institut, dass in der klinischen Betreuung von Patienten im Syndrom reaktionsloser Wachheit noch ein optimales Assessment für den kompletten Rehabilitationsverlauf fehlt.
Ziel sollte es deshalb sein, ein optimales Werkzeug zur Diagnostik, Zielsetzung und Dokumentation zu entwickeln und dies auf dem deutschen Markt zu etablieren.
Um die Behandlung von Patienten im Syndrom reaktionsloser Wachheit und im minimal bewussten Zustand zu verbessern hat das DIWF ein Neurorehabilitationsmodel entwickelt, welches Annika Frank, ebenfalls Ergotherapeutin im Haus Christophorus der Alexianer Köln, im anschließenden Vortrag vorstellte.
Die Fähigkeit des Gehirns, verloren gegangene Funktionen, durch verschiedene Anpassungsmöglichkeiten (Vikariation, Redundanz, Aussprossung) wieder zu erlangen, verdeutlichen wie wichtig die Rehabilitation für die Betroffenen ist.
Die Aufgabe der Rehabilitation ist es, die Ressourcen der Patienten zu erkennen, sekundäre Probleme zu vermeiden, den fortschreitenden Krankheitsprozess zu verlangsamen, den Gesundheitszustand zu verbessern, Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität zu erhalten, aber auch die Unterstützung der Angehörigen, spielt eine wichtige Rolle innerhalb der Behandlung.
Am Rehabilitationsprozess sind verschiedene Personengruppen beteiligt, die eng zusammenarbeiten. Die Personengruppen lassen sich anhand der zu erfüllenden Aufgaben in 4 Bereiche unterteilen, den Bereich, der Therapie, der Betreuung, der medizinischen Behandlung und der Angehörigen.
Die Aufgaben der Ärzte ist es durch medikamentöse und andere medizinische Maßnahmen Komplikationen und belastenden Symptomen, wie z.B. Schmerzen, Angst- und Anspannungszuständen, Dystonien und Infektionen vorzubeugen oder positiv zu beeinflussen.
Das Pflegepersonal führt die Grundpflege durch, übernimmt die Versorgung der Magensonde, verabreicht Medikamente und ist an dem Trachealkanülenmanagement beteiligt.
Dem Bereich der Therapie lassen sich viele Berufsgruppen zu ordnen.
Grundsätzlich findet Ergotherapie, Physiotherapie, Sprachtherapie und Musiktherapie statt, je nach Bedürfnis des Bewohners können aber auch andere Therapien, wie Kraniosacraltherapie, Lichttherapie oder Neuropsychologische Behandlungen, beantragt werden.
Unter dem Bereich der Betreuung sind alle nicht medizinischen Angebote zusammengefasst.
Hierbei geht es darum, den Patienten die Teilhabe am alltäglichen Leben zu ermöglichen.
In dem Bereich der Betreuung wird biographieorientiert gearbeitet und man versucht die Interessen der Bewohner aufzugreifen.
Die Angehörigen nehmen in der Behandlung eine besondere Rolle ein.
Zum einen bieten sie den verschiedenen Professionen die Möglichkeit Informationen über die Biographie und die Persönlichkeit des Betroffenen zu erhalten und zum anderen benötigen sie die Unterstützung des Personals bezüglich der Aufklärung über die Erkrankung des Angehörigen.
Bei der Zielformulierung innerhalb des Rehaprozesses ist es wichtig, die Ziele eindeutig und realistisch zu formulieren, damit Fortschritte innerhalb der Behandlung messbar und nachweisbar werden. Das Interessen des Patienten darf während der Zielsetzung nicht außer Acht gelassen werden, das bedeutet die Auswahl der Therapiemittel- und methoden und die Intensität der Behandlung findet individuell stattfinden.
Das DIWF möchte hiermit verdeutlichen, dass nur durch eine gute Zusammenarbeit aller am Rehabilitationsprozess beteiligten Personen und durch eine präzise und individuelle Zielsetzung, optimale Behandlungsergebnisse erzielt und die größtmögliche Lebensqualität der Patienten erreicht werden kann.
In dem letzten Vortrag stellte Frau Melanie Schmitz, Musiktherapeutin im Haus Christophorus der Alexianer Köln eine weitere Arbeit des DIWF vor.
Das Deutsche Institut für Wachkomaforschung (DIWF) hat einen Fragebogen entwickelt zu den Themenbereichen Patientenanzahl, Informationen zu verwendeten Assessments zur Einschätzung des Bewusstseinszustandes und der Schmerzwahrnehmung bei Menschen im Wachkoma, dem Behandlungs- Therapie- und Fortbildungsangebot und zur Terminologie des „Krankheitsbildes Wachkoma“. Von 272 angeschriebenen Häusern deutschlandweit, die Wachkomapatienten betreuen, bekamen wir eine Rückmeldung von 37 Fragebögen. Das ist ein prozentueller Anteil von 13,6%, der natürlich nicht aussagekräftig ist, aber ein tendenzielles Meinungsbild abgibt.
Das verbreitetste Assessment zur Einschätzung des Bewusstseinszustandes ist die EFA-Skala (Early Functional Abilities), die von 40% der Heime benutzt wird. Diese Skala ist weder für diese Zielgruppe geeignet, noch validiert und nur 50% der befragten Heime integrieren die Ergebnisse des Assessments in die behandlerischen Zielvereinbarungen. Die Effektivität der Skala wird im mittleren Bereich bewertet.
Diese Ergebnisse zeigen den deutlichen Bedarf an einem Assessment, das gezielt für diese Zielgruppe entwickelt und bekannt gemacht wird und für die Mitarbeiter bekannt und gut zugänglich ist (Kostenfaktor für Fortbildung). Das Assessment sollte von den Mitarbeitern durchführbar sein (Pflege, Therapie), nicht ausschließlich durch den Arzt (Neurologen).
Das Therapie- und Behandlungsangebot für die Patienten ist sehr groß und vielfältig. Auch werden in 67% der Heime Fortbildungen zum Thema „Wachkoma“ für die Mitarbeiter angeboten.
Bei der Bezeichnung des Krankheitsbildes wurde in 83% der Fälle der Begriff „Wachkoma“ genannt. Die international aktuellen Bezeichnungen VS (Vegetative State), bzw. UWS (unresponsive wakefulness syndrom; deutsch: Syndrom reaktionsloser Wachheit) und MCS (minimally conscious state; deutsch: minimaler Bewusstseinszustand) scheinen in den Einrichtungen noch sehr unbekannt und nicht etabliert.
Die Einschätzung der Schmerzwahrnehmung bei dieser Patientengruppe ergab ein sehr heterogenes Bild; auch die verwendeten Assessments in diesem Bereich sind sehr unterschiedlich, v.a. werden Skalen benutzt, die für Demenzerkrankte entwickelt worden sind. Der Bedarf an gezielten Informationen zu diesem Thema und damit verbunden, die Entwicklung eines geeigneten Schmerzassessments wird sehr deutlich.
Das Ziel welches mit dieser Arbeit verfolgt werden soll, ist die Erstellung einer Datenbank, die eine Vernetzung und den Informationsaustausch zwischen alle Interessierten (Mitarbeiter, Angehörige) ermöglichen soll.
Herr Lothar Ludwig der Bundesvorsitzende des Selbsthilfeverband- FORUM GEHIRN e.V. beendete die Veranstaltung und appellierte ebenfalls an eine bessere und engere Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen, die Patienten mit schwersten Hirnverletzungen betreuen, den Angehörigen und den Personen, die beruflich und/oder wissenschaftlich in diesem Bereich tätig sind. Außerdem verdeutlichte auch er in seinen Abschlussworten, dass die Behandlung und Betreuung von Betroffenen nur dann optimiert werden kann, wenn deutschlandweit aktuelle Forschungsergebnisse verbreitet und in die Behandlung mit eingeschlossen werden.