Nachlese zur Fachtagung in Bad Schmiedeberg

Frau Angela Hoffmann begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Bundesgebiet zur Fachtagung „Kommunikationsaufbau mit Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen“, der Selbsthilfegruppe Sachsen-Anhalt des Bundesverbandes SHV – FORUM GEHIRN e.V., recht herzlich. Betroffene, Angehörige, Mediziner, Therapeuten, Pflegekräfte sowie Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen waren angereist.

Herzlich Willkommen zur Fachtagung für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen

Deddo Lehmann, Kurdirektor und Geschäftsführer der Eisenmoorbadklinik brachte in seinem Grußwort zum Ausdruck, dass bereits vor 5 Jahren eine gemeinsame Tagung zum Thema der Schädelhirnverletzten durchgeführt wurde. Auch heute ist es wichtig, das Thema immer wieder aufzugreifen und den hilfebedürftigen Menschen mit seinen Einschränkungen in den Mittelpunkt zu stellen. In den weiteren Ausführungen stellte er den Kurort und die Kureinrichtung mit den vielfältigen Möglichkeiten vor. Jens Ackermann, MdB, konnte leider durch seine zwingende Anwesenheit im Bundestag nicht teilnehmen. Sein Grußwort finden Sie nebenstehend als PDF-Download.

Anschließend hielt Herr Peter Ammann das Impulsreferat „Möglichkeiten zum Kommunikationsaufbau mit Schädelhirnverletzten“. Er stellte in seinen Ausführungen in den Mittelpunkt: “ Sobald zwei Personen sich gegenseitig wahrnehmen können, kommunizieren sie miteinander. Jedes Verhalten stellt eine Art Kommunikation dar! Man kann sich also nicht „nicht“ verhalten und es ist auch unmöglich, „nicht“ zu kommunizieren!“ Dieses Thema wurde am Nachmittag in einem Diskussionsforum noch vertiefend behandelt.

Dr. med. Dieter Claas von der Universitätsklinik für Neurochirurgie aus Magdeburg betrachtete die Ursachen, die Versorgung und Auswirkungen von Schädelhirnverletzungen aus neurochirurgischer Sicht.

Dabei ging er auch noch einmal auf die Bewusstseinsstörungen ein. Er führte u.a. aus:

  • Bewusstseinsklarheit: Zustand der ungestörten Wachheit.“
  • Bewusstseinstrübung: ein Zustand der verminderten Wachheit“
  • Bewusstlosigkeit (Koma): der Patient öffnet die Augen weder spontan noch auf Anruf …“

 

OA Dr. med. Matthias Henn vom NRZ Magdeburg referierte über die Auswirkungen von Spastik. Er wies auf die gravierenden Folgeschäden wie z.B. Kontrakturen, Gelenkfehlstellungen und Funktionseinschränkungen hin, wenn eine starke Spastik nicht rechtzeitig behandelt wird. Leider ist eine ausreichende Reduzierung der Spastik trotz intensiver medizinischer Behandlung nicht immer möglich. Auf diesem Gebiet besteht noch erheblicher Aufklärungs- und Forschungsbedarf. Dr. Class und Dr. Henn halten eine Spastik-Sprechstunde an der Uni Magdeburg ab.

 

Frau Katrin Voigtritter, Leiterin von Pflegeheimen in Bad Schmiedeberg, erläuterte die Umsetzung von Bezugspflege. Für Schädelhirnverletzte sind vertraute Bezugspersonen von besonderer Wichtigkeit, da sich diese Menschen nur in einer harmonischen, vertrauten Umgebung wohlfühlen und auch weiterentwickeln können. Dazu gehört auch das Miteinander in der Pflege in einem multiprofessionellen Team. Nur wenn alle Profis wie Pflegekräfte, Ärzte, Therapeuten und auch die Angehörigen gemeinsam koordiniert an der Verbesserung des Zustandes des Betroffenen arbeiten, erreichen wir eine gute Lebensqualität für den Betroffenen.

In 3 verschiedenen Diskussionsforen (DF) wurde das Thema „Kommunikationsaufbau“ aus unterschiedlicher Sicht vertiefend diskutiert Die Diskussionsforen wurden zu folgenden Themen durchgeführt:

 

D1: „Die Fähigkeit und Bereitschaft mit und ohne Worte zu verstehen.“, Ilka Drapatz-Braune

Dazu wurde von Kerstin Arndt eingeschätzt: 

Dieses DF auf dem Fachtag war mit mehr als 30 Zuhörern sehr gut besucht. Frau Drapatz-Braune gestaltete ihren Beitrag dann auch von Anfang an fesselnd und bezog die interessierten Teilnehmer durch ein Ballspiel mit ein. Ebenso zeigte eine eingespielte Musik, dass diese die Menschen auf sehr verschiedene Weisen erreicht und bewegt. Einige fühlten sich dadurch entspannt, andere neugierig oder genervt. Man merkte sofort, dass eben jeder auf Reize verschieden reagiert und entsprechend der individuellen Bedürfnisse eine Behandlung bzw. eine Kommunikation abgestimmt werden muss.

Frau Drapatz-Braune therapiert Bewohner mit erworbenen Hirnschädigungen in einem Pflegeheim. Diese Therapieform benötigt einen dafür eingerichteten, überwiegend in weißen Farben gehaltenen Raum, der dann dem jeweiligen Therapieansatz entsprechend mit farblichen oder visuellen Effekten versehen wird.

Die Kosten werden nicht durch Verordnungen nach dem Heilmittelkatalog abgerechnet sondern privat gezahlt oder aus Betreuungsgeldern abgedeckt. Das obwohl eine 4-Jährige Ausbildung nötig ist, um SNOEZELEN-Therapeutin zu werden.

Der Behandlung eines Patienten geht eine sorgfältige Anamnese voraus. Ganz besonders hilfreich ist die umfangreiche Kenntnis der Biografie, wobei hier die Angehörigen sehr gut zur Information beitragen. Während dieser häufig wortlosen Behandlung kommt es zu Nähe und emotionaler Begegnung der Sinne und der Seele. Es bedarf einer geschulten Distanz des Therapeuten und psychologischem Einfühlungsvermögen, da es mit Hilfe der räumlichen Milieugestaltung, der Musik- und Farbauswahl sowie der persönlichen Zuwendung z.B. zur Trauerauslösung kommen kann. Eine gute Beobachtungsgabe für kleinste Reaktionen und Veränderung ist vonnöten und sollte durch sorgfältige Protokolle unterstützt werden. Verbesserungen wie Blutdrucksenkung, reduzierte Schlafstörungen, verminderte Unruhe, Abbau von Ängsten uvm. sind bei dem schwierigen Krankheitsbild große Erfolge, die den Weg für weitere Fortschritte zurück zur einfacheren Kommunikation bereiten.

Diese Therapieform ist für Einrichtungen ein wertvolles unterstützendes Angebot, da die Bewohner dort meistens nicht in dem Maße intensiv durch vertraute Angehörige begleitet werden können, wie es in der häuslichen Versorgung gegeben ist.“

 

D2: „Ansatz beim Umgang mit …“, Marcello Ciarettino

Roswitha Stille fasst zusammen:

In diesem Diskussionsforum, geleitet von Herrn Marcello Ciarettino Dipl.-Pflegepädagoge (FH) und geschäftsführender Gesellschafter der BaWIG, waren vorwiegend professionell tätige Personen anwesend und wenig Angehörige. Herr Ciarettino erläuterte uns den Umgang mit wahrnehmungsgestörten Menschen aus seiner Sicht als Pflegeexperte. Die Pflege bzw. das Pflegeteam muss sich dem Patienten anpassen und nicht umgekehrt. Dem Patienten muss Zeit gegeben werden, damit er reagieren bzw. sich auf die folgende Handlung einstellen kann. Jeder Mensch hat seinen eigenen Rhythmus. Es müssen alle Bedürfnisse (physiologische, psychische und soziale) des Betroffenen berücksichtigt werden.

Herr Ciarettino führte uns an einem Beispiel vor Augen, wie auch bei uns die Wahrnehmung gestört werden kann. Außerdem hat er uns vermittelt, dass nicht nur bei dem Betroffenen die Wahrnehmung gefördert werden muss, sondern beim gesamten therapeutischen Team muss diese ebenfalls geschult werden.

An drei vorgespielten Beispielen wurden uns verschiedene Kommunikationsformen bei pflegerischen Handlungen demonstriert. Man unterscheidet den funktionalen, sensorischen und den alltagsbezogenen Kommunikationstyp. Dabei hängt es vom Pflegeziel ab, welcher Kommunikationsstil gewählt werden sollte.

Jeder Mensch, auch der Wachkomapatient, kann lernen und hat auch das Bedürfnis zu lernen. Dabei müssen wir ihn unterstützen. Dazu sollten wir unsere Kreativität nutzen und uns auch auf unsere Intuition verlassen.

Jeder, der mit wahrnehmungsgestörten Menschen arbeitet, sollte sich auch die Frage stellen:

Was bringt mir die Arbeit mit einem Wachkomapatienten? Welchen Nutzen habe ich davon?

Denn auch die Pflegenden können durch den Umgang mit diesen Menschen positive Erfahrungen machen, wenn sie ihre Wahrnehmung ausreichend geschult haben.“

 

D3: „Können wir uns in den Schädelhirnverletzten hineindenken – erreichen wir ihn?“ Peter Ammann

Ein Bericht von Ingrid Zoeger:

Ein interessantes DF das unter der Leitung von Herrn Peter Ammann Psychologe und Heilpraktiker aus Wuppertal im Rahmen der Fachtagung durchgeführt wurde. Betroffene, Angehörige und Mitarbeiter aus den Bereichen der Pflege und Therapie nahmen an der Gesprächsrunde teil.

Es standen Fragen im Raum wie z.B. Welche Dinge nimmt ein Betroffener im Wachkoma wahr? Wann ist ein Schädelhirnverletzter im Koma? Wie gehen Pflegekräfte mit wacheren Patienten um?

Einen großen Raum in diesem DF wurde den betroffenen Angehörigen gegeben. Sie öffneten sich, berichteten sehr einfühlsam und emotional darüber, wie sie damit umgehen, wenn ihr Angehöriger im Koma oder Wachkoma ist.

Eine betroffene Mutter berichtete über ihre Erfahrungen mit ihrem komatösen Sohn. Sie schilderte ihre Ängste, aber auch über die emotionale Kommunikation zu ihm im Zusammenhang eines Bewusstseinsfeldes und Beziehungsprozesses.

Minimale Signale können für die Kommunikation genutzt werden. Dazu zählt die Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen. Hilfreich ist dabei die Atmosphäre im Raum, die Lage und Haltung des Menschen, die Annäherung durch rhythmisches Ansprechen des komatösen Menschen entsprechend seiner rhythmischen Atmung. Die Berührung von Hand und Schulter kann eine wesentliche Rolle spielen. Wichtig ist auch das Mitteilen von Absichten, Motivation und Perspektiven. Angehörige sollen sich selbst Zeit geben als Begleiter ihrer betroffenen Angehörigen, eigenen Erfahrungen vertrauen und Raum geben.

In der Zukunft muss auch noch mehr der Umgang von Pflegekräften mit wacheren Betroffenen thematisiert werden. Damit diese sich besser auf die Betroffenen einstellen und begleiten können.

Angehörige müssen auf der Intensivstation (ITS) informiert und unterstützt werden über mögliche Reaktionen von komatösen Menschen.

Für betroffene Angehörige und deren Familien ist es sehr schwer mit dem Koma oder Wachkoma ihres Betroffenen umzugehen. Jede kleine Reaktion von ihm, wird als Hoffnungsschimmer aufgenommen. Dadurch hilft der Betroffene auch seinen Angehörigen und kann zu einem Lehrer für die Familie werden.

Das Diskussionsforum zeigte ein allgemeines sehr reges Interesse aller Beteiligten.“

 

Michael Becker, Dipl.-Sozialpädagoge und pflegender Bruder, brachte seine Sichtweise für ein „dialogisches Miteinander“ im Umgang mit einem hirnverletzten Menschen am Beispiel seines Bruders den Teilnehmerinnen und Teilnehmern näher. Für ihn ist eine, dem Patienten zugewandte Grundhaltung, Wertschätzung und Empathie unabdingbar im Umgang mit seinem Bruder. Dies ist ihm wichtiger als das reine Fachwissen der Pflegekräfte bzw. Assistenten. Besonders den Angehörigen hat er dargelegt, dass sie lernen müssen, den Augenblick zu schätzen.

Eine Fachtagung ging zu Ende auch mit dem Verweis auf zukünftige Veranstaltungen. Nicht alles konnte besprochen werden. Viele Fragen der Angehörigen blieben auch offen. Hier ist es unser Anliegen auf schon vorhandene Selbsthilfegruppen oder auf noch zu bildende SHG zu verweisen. Dort besteht auch immer die Möglichkeit die Thematik zu vertiefen. Es zeigte sich aber deutlich, dass es ein starkes Interesse gibt, sich mit Themen aus den Bereichen Medizin, Therapie, Pflege und Soziales auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist es auch wichtig zu verstehen, dass die Angehörigen und die Fachkräfte gemeinsam an Fachtagungen teilnehmen sollten, auch wenn das nicht immer auf Verständnis stößt. Miteinander an gleichen Zielen zu arbeiten, Miteinander sich auszutauschen, Miteinander zu kommunizieren hilft jedem Einzelnen, vor allem aber den Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen.

Wir haben jedem Teilnehmer einen Feedbackbogen gegeben. Über 50 % aller Anwesenden haben ihre Meinung mitgeteilt. Über 90 % haben die Tagung positiv bewertet. Einige wenige waren unzufrieden. Kritische Bemerkungen, Vorschläge für eine bessere Darstellung des Vortragenden bis hin zu mehr Informationen im Vorfeld werden sicherlich beim nächsten Mal Berücksichtigung finden.

Eine SHG hat sich auf den Weg gemacht ein Thema im Rahmen einer Fachtagung öffentlich zu thematisieren. Eine gelungene Tagung! Wir hoffen auf eine Fortsetzung mit unterschiedlichen Themen.

Auf der Homepage unter www.shv-forum-gehirn.de des SHV – FORUM GEHIRN e.V werden wir in Kürze die Referate von Dr. Class, Dr. Henn, Katrin Voigtritter und Michael Becker einstellen.

Anregungen für weitere Veranstaltungen senden Sie bitte an die Geschäftsstelle info@shv-forum-gehirn.de

 

 Realisation – Sebastian Jobst (www.jobst-filmproduktion.de)

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Berichte und Artikel zu dieser Veranstaltung


Wir diskutieren mit der SNOEZELEN Therapeutin

Für die Bewohner, die ich in dieser Facheinrichtung begleiten darf, ist die SNOEZELEN Therapie zu einem festen Bestandteil im Tagesverlauf geworden.
In meinem Vortrag möchte ich zeigen, welche Möglichkeiten es im Rahmen der SNOEZELEN Therapie gibt , die uns anvertrauten Menschen mit und ohne Worte zu erreichen. 

 

Michael Becker berichtet am 09. November 2012 in Bad Schmiedeberg

Miteinander kommunizieren „Dialogisches Miteinander – den Augenblick schätzen“ Michael Becker berichtet mit lebendigen Beispielen von seinen Erfahrungen und Ideen, wie Heilung in jedem Moment möglich ist. Michael Becker hat über 20 Jahre bei Film…