Autounfall Mario Ludwig ( ca. 18 Monate Wachkoma)
Am Morgen des 07. März 2000 ging es zu wie immer. „Tschüss Papa“ und schon war er weg, und ich wie immer „Fahr vorsichtig!“ Eigentlich etwas Alltägliches. Aber an diesen Tag sollte es anders sein.
So gegen 10:00 Uhr kam ein Anruf und ich erfuhr etwas Schreckliches. „Papa. Mario hatte einen Unfall, er ist im Krankenhaus – komm schnell nach Hause!“. Irgendwie erfasste ich nur – es war etwas Unheilvolles passiert. So fuhr ich dann mit meiner Ehefrau in das Krankenhaus. Da unser Sohn noch im OP war wurden wir wieder nach Hause geschickt. Mehrere Stunden wurde er operiert. Erst am späten Nachmittag durften wir zu ihm.
Er lag da und hatte einen Kopfverband. Eigentlich lag er ruhig da und wir konnten ihn sehen. Wir waren irgendwie erleichtert. So richtig erfasste ich die Schwere erst einmal gar nicht. Er lebt und das war wohl erst einmal das Wichtigste.
So vergingen 8 Wochen auf der Intensivstation. Während dieser Zeit durchlebte ich viele Situationen. Immer stand dabei im Vordergrund – es wurde alles getan, um ihn am Leben zu erhalten. Es war die schlimme Lungenentzündung, die ihm zu schaffen machte. Es war für uns als Eltern schlimm, dabei stehen zu müssen und nichts kann man tun – nur warten und hoffen. Immer wieder die gleichen Aussagen der Ärzte „Wir tun alles, können aber nichts sagen. Wir hoffen, dass wir ihm am Leben erhalten können!“.So zwischen Leben und Tode, nie wissend wie und ob er es schafft, ist eine Erfahrung, die niemanden zu wünschen ist. Und trotzdem durchleben viele Menschen diese Stunden.
Dann endlich die Erlösung, Mario hatte es geschafft – der Tod hatte ihn nicht geholt. Über die gesamte Zeit erlebten wir viele andere Momente. So die Besuche durch die Familie und auch ein Freund durfte zu ihm. Er wurde vom Beatmungsgerät entwöhnt und die Ärzte wollten ihn aus dem künstlichen Koma aufwachen lassen. Aber dies gelang nicht, Mario verblieb im Koma. Diagnose: Polytrauma mit schweremSchädel-Hirntrauma. Ich weiß es noch wie heute. Mario kam in die Reha-Klinik und er noch immer nicht bei Bewusstsein. So schlimm sah ich es persönlich noch gar nicht, denn es kam ja die Reha und da wird es dann vorwärts gehen. Diese doch positive Einstellung half persönlich mit diesem Schicksalsschlag zurecht zu kommen. Ich hatte zur damaligen Zeit noch nichts von Wachkoma mit seiner Bedeutung gehört, geschweige denn verstanden. Also fuhren wir jede Woche zwei- bis dreimalzu ihm und nutzten die wenigen Stunden für unseren Sohn.
Wir konnten an den Therapien wie Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie teilnehmen. Auch bei der Musiktherapie durften wir dabei sein. Im Laufe der Zeit beschäftigte ich mich intensiv mit dem Thema Wachkoma. Ich las viele Bücher und nahm die praktischen Hinweise der „Profis“ ernst. So lernte ich einiges wofür ich noch heute dankbar bin.
Meine Frau und ich holten dann Mario in die Reha-Klinik NRZ Magdeburg. Dadurch konnten wir täglich bei ihm sein. Mario war täglich 8 – 10 Stunden von der Familie umgeben. Ich wollte nicht nur passiv dabei stehen, sondern wurde aktiv. Hier erlebte ich auch das Wachkoma in seiner ganzen Breite. 18 Monate Reha, und täglich durften und konnten wir unseren Sohn begleiten.
Heute kann ich sagen, dass die persönliche Begleitung durch die Familie Mario sehr geholfen hat. Sehr dankbar sind wir für professionelle Leistungen der Therapeuten, der Pflegekräfte und der Ärzte. So haben wir viel gelernt. Das Besondere war die Ergänzung zwischen Professionalität mit den Anstrengungen der „Laien“ – die sich zu Co-Therapeuten entwickelt haben.
Es gibt eigentlich keine Wahl. Jeder, der durch einen solchen Schicksalsschlag betroffen ist, muss sich entscheiden. Unsere Entscheidung war, für unseren Sohn Mario da zu sein. Und als diese Entscheidung getroffen war, mussten wir uns auch durch Erwerben von Kenntnissen der Theorie und von praktischen Handlungen qualifizieren.
Ca. 18 Monate haben wir Mario im Wachkoma begleitet. Haben über diese Zeit seinen Kampf erlebt. Mario nahm zunehmend seine Umwelt besser wahr. Die Schwestern bemerkten das ebenfalls und wurden noch aufmerksamer. Der Höhepunkt war, als sie ihm Witze erzählten und Mario an der richtigen Stelle die Pointe mit einem Lächeln quittierte. Da war uns allen klar, er versteht uns. Wir waren so glücklich.
Weniger erfreulich war seine Entwicklung der Mobilität. So gibt es hier bis heute keine wesentlichen Verbesserungen. Mario hat noch die Trachealkanüle und wird über die PEG ernährt. Aber was hat das für eine Bedeutung heute. Mario lebt zu Hause und wird durch seine Mutter versorgt. Er ist am Leben und nimmt teil am Leben der Familie. Die Chancen sich weiterzuentwickeln sind nach wie vor da. Auch mit dieser Behinderung ist er ein liebenswerter Sohn. Es ist nicht immer einfach – aber welches Leben ist schon einfach. Wir wissen, dass es viele Familien gibt, die ein ähnliches Schicksal teilen.
Im Jahr 2000 traten wir der Selbsthilfegruppe in Magdeburg bei und erfuhren vieles Wichtige mehr. Ich habe mich dann auch mehr in die Gruppenarbeit eingebracht. Das war die richtige Entscheidung. Über 100 Familien habe ich kennen gelernt. Die Hilfe die wir geben, ist keine medizinische. Sie besteht in der Organisation der Gruppenarbeit, in der Organisation und Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen durch Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte. Wir treffen uns, um voneinander zu lernen.
Hier liegt auch die herausragende Bedeutung der Selbsthilfearbeit. Wir können in Gemeinsamkeit das persönliche Schicksal begleiten und durch die schon vorhandenen Erfahrungen andere Familien teilhaben lassen. In dieser Zeit, wo die Ressourcen immer geringer werden, wo sich Widerstände auftun, brauchen wir die Solidarität der Betroffenen. Nur gemeinsam können wir unsere Probleme ansprechen und um die Rechte unserer Patienten kämpfen!
Lothar Ludwig, betroffener Vater