Professionelle Dienstleister unterstützen die Selbsthilfe

Unterstützung ja – aber wie?

Im Rahmen der Schulung von  Ärzten  hielt der Bundesvorsitzende des SHV – FORUM GEHIRN e. V., Lothar Ludwig,  einen Vortrag über die“ Hilfe zur Selbsthilfe“

Bei Tag und Nacht  sind Ärzte und andere professionelle Dienstleister bereit, den Patienten/Betroffenen auf dem Weg zur Teilhabe in die Gesellschaft und den Beruf vorzubereiten und zu begleiten. Das ist kein leichter Weg, denn die neurologisch Erkrankten benötigen ein hohes Maß an Zuwendung und Aufmerksamkeit. Wie überall steht der Mensch im Mittelpunkt. Das Recht auf Autonomie, Teilhabe und Menschenwürde findet auch seine Anwendung bei der Arbeit mit dem Betroffenen in allen Bereichen der neurologischen Rehabilitation und Pflege.

Wie sehe ich die Situation von  betroffenen Familien?

Resignation – prägt zu Anfang das Verhalten von Angehörigen. Sie kommen mit der entstandenen Situation nicht zurecht.  Allein – was ist zu tun? , Die Familie – wer übernimmt jetzt Verantwortung? , Ich muss – alle wollen von mir wissen …, Das weiß ich nicht – Haus; Finanzen; Versicherungen; Arbeitgeber …  , Hilfe – ich weiß nicht mehr weiter!. 
Sehr wichtig und greifbar ist das Miteinander der „Profis mit den Laien“. Es ist zwingend notwendig zu erkennen, dass Gedanken und Kräfte gebündelt werden müssen. Das bedeutet im Klartext: Austausch von professioneller Kompetenz (Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte)  mit den Laien (möglicherweise mit „erworbener“ Kompetenz) damit alle eng zusammen  zum Wohle des Betroffenen arbeiten können. Denn es geht doch um den Betroffenen!  Um am gleichen Ziel gemeinsam tätig zu werden, ist der Austausch von Erkenntnissen notwendig.

Was müssen der Arzt, der Therapeut, die Pflegekraft und die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes beachten?

Auch der Angehörige benötigt Hilfe und Unterstützung. Angst prägt das Verhalten, er fühlt sich allein gelassen, er weiß mit der Situation nicht umzugehen, er stellt sich die Frage – wie geht es weiter? Die Selbsthilfe wird noch nicht in den notwendigen  Maße erkannt und somit nicht ausreichend einbezogen.
Die Erwartungshaltung gegenüber den Ärzten drückt sich unter anderem folgendermaßen aus:  „Er ist für mich/uns Aufklärer, Wegbereiter, Entscheidungsträger, Teamleiter – kompetenter und überzeugender Partner. Er muss ein guter Zuhörer sein, er soll ein Denker und Ratgeber sein. Er ist aber vor allem für die Angehörigen ein „Hoffnungsträger“.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, haben die Betroffenen und die Angehörigen  konkrete Erwartungshaltungen. Diese sind geprägt von folgenden  Inhalten (Beispiele).
–  fachliche Kompetenz;
–  ist auf Augenhöhe mit den Betroffenen und den Angehörigen (diese dort abholen, wo sie sich befinden)
–  sensibler Umgang mit Angehörigen;
–  aufmerksamer Zuhörer und Beobachter;
–  strahlt Ruhe und Selbstsicherheit aus;
–  kann sich sprachlich auf die Ebene von Laien begeben;
–  nimmt Hinweise und Erfahrungen von Angehörigen ernst;

Es werden  auch  kritische Bemerkungen formuliert, die ein fehlendes Vertrauensverhältnis zum Ausdruck bringen (Beispiele)

–  fehlende Augenhöhe;
–  steht über den Betroffenen und Angehörigen;
–  hört nicht zu, hat keine Zeit;
–  gibt das Gefühl, dass er studiert hat und die „Laien“ nicht alles verstehen und es auch falsch sehen

Es kommt also darauf an, dass die professionelle Kompetenz (medizinische, therapeutische, pflegerische und soziale) mit der  erworbenen Kompetenz  (Biografisches,  Soziales und die Eigenerfahrung beim Umgang mit den Betroffenen) sehr eng miteinander kommunizieren und miteinander kooperieren.

 

Erkennen von Zielen

Es ist wichtig zu erkennen, dass in der neurologischen Rehabilitation das Ziel darin besteht, Teilhabe der Betroffenen zu unterstützen und zu begleiten. Aus diesem Grund ist die richtige Betrachtung wichtig.  Ich kann nur deutlich hervorheben sich dem Betroffenen zukunftsweisend  zuzuwenden. Um  die richtigen Weichen für die Profis und für die Laien zu stellen, muss es um die Entwicklung und nicht um den „Zustand“ eines Betroffenen gehen. Es muss die, am Bedarf des Betroffenen orientierte, optimale Versorgung erfolgen. Weg mit dem Gedanken der „Fürsorge!“                                

Wenn wir wollen, dass wir gemeinsam die Betroffenen unterstützen dann heißt es: :  „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Betroffene „aus dem Bett“ kommt und in den Rollstuhl mobilisiert wird. Oder anders formuliert, es geht um die Förderung von Aktivitäten. Es ist wichtig, nicht von „Hilflosigkeit“ zu reden, sondern es muss uns gemeinsam um die Wahrnehmung von selbstbestimmter Teilhabe gehen.“  Es ist wichtig zu erkennen, dass es nicht um „vermeiden“ geht, sondern es geht immer um ermöglichen.  Ich betone: „Lassen Sie uns nicht „über den Betroffenen“ reden, sondern mit dem Betroffenen kommunizieren.“  Es ist aber noch wichtiger, nicht durch „Fremdbestimmung“ ein Ziel anzusteuern, sondern immer durch Selbstbestimmung den Betroffenen auf dem Weg zur Teilhabe zu begleiten. Und das ist nicht immer einfach.

Es ist leider Alltag, dass die aus meiner  Sicht aufgeführten wichtigen Grundsätze, durch fast alle Beteiligten wenig Beachtung finden. Schlimmer noch, es wird auch noch artikuliert und dem Menschen mit erworbener Hirnschädigung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und in dem Berufsleben  abgesprochen.

Als Bundesvorsitzender des SelbstHilfeVerbandes – FORUM GEHIRN kann ich nur warnen und fordere auch die Angehörigen auf, der Nichtbeachtung von Menschenrechten entgegenzutreten.

 

Verantwortung der Angehörigen

Als betroffener Angehöriger, seit über einem Jahrzehnt im Dienste der Selbsthilfe, habe ich mich in diesen Jahren immer und immer wieder den Problemen gestellt. Es muss an dieser Stelle den Angehörigen auch einmal ganz deutlich gesagt werden: Ihr tragt die Verantwortung für Euren Betroffenen. Er baut auf Euch. Wir Angehörige sind in der Regel „Laien“. Wir müssen vieles erst einmal lernen. Wir sind angewiesen auf professionelle Unterstützung und Begleitung. Diese wird aber nicht greifen, wenn wir die eingetretene Situation nicht akzeptieren lernen. Erst durch die Akzeptanz wird der Kopf frei für Zukünftiges. Zukünftiges beschreibt all das was zu leisten ist, um den Betroffenen und sich selber helfen zu können. Und da wir ja eben nicht alles wissen, holen wir uns die Hilfe dort, wo sie auch geleistet werden kann. Hier ist es die „Hilfe zur Selbsthilfe“, die neben der professionellen Hilfe erforderlich ist.. Es sind die Erfahrungen von Familien, die schon länger betroffen sind, die den Neubetroffenen viele gute Tipps zur Therapie, zur Pflege und Betreuung vermitteln können.

All das sind auch Gedanken, die alle Dienstleister wissen müssen.  Es ist nicht schlimm mit den Angehörigen zu reden und ihnen die konkret eingetretene Situation zu erklären. Es ist nicht schlimm, den Angehörigen zu vermitteln, was er tun kann um dem Betroffenen hilfreich zur Seite zu stehen. Es ist nicht schlimm auch mal zuzuhören und zu hören, was der Angehörige gesehen hat oder wo er Probleme sieht. Aber es muss auch erkannt werden, dass es gerade auch der betroffene Angehörige ist, der sich in einer Ausnahmesituation befindet und selber professioneller Hilfe bedarf. 

 

Wer aber kümmert sich um diese „Betroffenen“?

Uns in der Selbsthilfe fällt es nicht immer leicht zu erleben, wie in den Bereichen der Krankenversicherung und Pflegeversicherung und durch Sozialhilfeträger  mit den Angehörigen umgegangen wird. Ja, auch wir Angehörigen sind dem Druck des Geldes ausgesetzt. Wir haben auch Verständnis für wirtschaftliches Handeln. Aber es muss so entschieden werden, dass der Betroffene gut versorgt wird. Wenn wir in der heutigen Zeit „sparen“ wollen, dann bitte an der richtigen Stelle. Es ist sicherlich nicht zu verstehen, dass wir  bei der Prophylaxe sparen und lieber viel Geld ausgeben, um den eingetretenen gesundheitlichen Schaden zu beseitigen. Das Sprichwort „vorbeugen ist besser als heilen“ hat gerade heute seine Berechtigung und erfordert von allen Beteiligten ein gehöriges Maß an Verantwortung.

All diese Gedanken tragen dazu bei, die jeweilige Situation aller Beteiligten zu erkennen. Es wäre gut, wenn dies auch zu mehr gegenseitiger Sensibilität führen würde.

 

Gemeinsam handeln heißt jetzt:

–  gemeinsam die Not und die Probleme bewältigen;
–  sich gegenseitig informieren;
–  voneinander lernen;
–  Eigeninitiative entwickeln;
–  nach kreativen Lösungen suchen;
–  vorhandene Ressourcen nutzen;

und zum Schluss noch gemeinsame Ziele formulieren und dann auch konsequent umsetzen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention gibt uns dazu wichtige Orientierungen. Diese Erkenntnis ist uns nicht neu. Wir finden die grundsätzlichen Forderungen bereits im SGB IX. Aber gerade hier zeigt sich das Defizit bei der Umsetzung von bestehenden Gesetzen. Leider sind es die Kranken und  Schwächsten unserer Gesellschaft, die darunter leiden müssen.  Es ist auch hier anzuraten, dass sich die Betroffenen und die Familien mit der BRK beschäftigen, um ihre Rechte einzufordern.

Unser SelbstHilfeVerband – FORUM GEHIRN e.V.  hat sich die Aufgabe gestellt, sich selbstbewusst und selbstbestimmt, unabhängig, klar und deutlich für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen und deren Angehörige einzusetzen. Das ist wahrlich nicht immer einfach. Wir möchten, dass die eigenständige Bezeichnung „Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen“ im Sprachgebrauch für unsere Betroffenen Einzug hält. Wir wollen, dass verbandsübergreifend mit Selbsthilfegruppen, Verbänden und Institutionen zusammengearbeitet wird. Wie sonst wollen wir es schaffen, gesundheitspolitisch erfolgreich tätig zu werden?

 

Lothar Ludwig
Vorsitzender des SHV – FORUM GEHIRN e. V.

September 2011