Der Angehörige und seine (Selbst-)Verantwortung
Nahtlos hintereinander fanden im März 2011 hochkarätige Veranstaltungen statt. So der 5. Nachsorgekongress der Arbeitsgemeinschaft „Teilhabe, Rehabilitation, Nachsorge und Integration nach Schädelhirnverletzung“ in Berlin und vielfältige Veranstaltungen im Rahmen der Internationalen Woche des Gehirns brainWEEK 2011.
Im Seniorenzentrum St. Anna in Schwäbisch Gmünd wurde am 19. März das Treffen unter dem Thema „Mit einem Schlag …“ durchgeführt. Wie aus heiterem Himmel passiert es – ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall und nicht zuletzt die Unfälle – Schädelhirnverletzungen mit Schädigungen des zentralen Nervensystems. Langzeiterkrankungen des Gehirns mit wenig Aussicht auf schnelle und völlige Genesung.
Eine traumatische Situation für die Betroffenen und deren Angehörige. Ein Schicksalsschlag, der Hilflosigkeit bis Resignation bei den Angehörigen hervorruft. Wie damit umgehen? Was heißt es zu akzeptieren und warum? Wie kann begleitet werden, was ist wirklich und wie viel Schmerz ist erträglich?
Schwester Marzella Krieg eröffnete die Veranstaltung und begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die Referenten Karl-Eugen Siegel, Initiator der brainWEEK in Deutschland, Karol Jaszkowic, Dipl.-Psychologe und Lothar Ludwig, Vorsitzender des SHV – FORUM GEHIRN e.V.
In den Ausführungen von L. Ludwig wurde die Verantwortung der Angehörigen bei der Begleitung auf dem Weg zur Teilhabe in die Gemeinschaft herausgearbeitet. Es ging um die Akzeptanz einer Situation, die sie nicht hervorgerufen haben, aber denen sie sich stellen müssen. Gemeinschaftlich das Leben gestalten, miteinander neu über das zukünftige Leben nachzudenken, war eines seiner Anliegen.
Dipl. Psychologe Karol Jaszkowic nahm die Teilnehmer in seinen Ausführungen mit auf die Reise in eine Welt von persönlicher Verantwortung. Er schloss die anwesenden Angehörigen und ihre psychischen Reaktionen auf das traumatische Erlebnis eines Menschen in seinen Ausführungen ein.
„Im psychologischen Sinne verstehen wir unter Trauma eine Verletzung oder Verwundung, die physischer, psychischer oder moralischer Art sein kann. Sie sind verbunden mit dem Erleben eines Ereignisses von verheerendem Ausmaß.“ führte er aus.
In sehr einfühlsamen Worten, sehr anschaulich und eindringlich ging er auf die Rolle der Angehörigen ein. Er forderte geradezu auf, dass die Angehörigen auch die Eigenverantwortung erkennen müssen. Es nützt keinem, wenn der Angehörige physisch und psychisch am Ende seiner Kräfte ankommt. Wem kann er dann noch hilfreich zur Seite stehen?
In seinem Vortrag ging er auf die Selbstfürsorge ein. (übernommen aus dem Artikel von Frau Christine Bartholomae)
– Selbstfürsorge drückt sich in einer inneren Haltung der Wertschätzung sich selbst gegenüber aus.
– Nicht nur für die Anderen zu sorgen sondern für sich.
– Selbstfürsorge bedeutet achtsam mit eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und Kräften umzugehen
– Ziel der Selbstfürsorge ist die eigene Gesundheit an Körper, Geist und Seele zu erhalten
– Selbstfürsorge bedeutet Eigenverantwortung.
Zu den Säulen der Selbstfürsorge zählen
Selbstachtsamkeit – auf seine Bedürfnisse zu achten und sie artikulieren
Selbstwertgefühl – die eigenen Fähigkeiten schätzen und anerkennen
Selbstakzeptanz – Stärken, Schwächen und Grenzen annehmen
Entspannung und Genuss – für das eigene Wohlbefinden sorgen
Nein-Sagen – Wer seine Grenzen kennt und mehr auf sich achten will, muss lernen Nein zu sagen, Aufgaben zu delegieren und angebotene Hilfe anzunehmen
Pausen und Rückzug sind notwendig – Pausen um zu tanken
Zum Schluss seiner Ausführungen stellte er fest:
„Heilung bedeutet nie Löschung, sondern Integration und ein Damit-Leben.“
Im dritten Teil wurden die Teilnehmer mit der Frage Wie sollte eine Entscheidungsfindung stattfinden, wenn ein Befragen nicht möglich ist? konfrontiert.
Noch mehr erstaunt waren die Teilnehmer als Karl-Eugen Siegel die Teilnehmer bat, sich paarweise bei einer Aufgabe aktiv einzubringen.
Worum ging es? Das Rollenspiel wurde angenommen und so war der Eine ein komatöser Betroffener und der Andere übernahm die Rolle eines Angehörigen.
Der „Betroffene“ war allem ausgesetzt. Die Sinnesorgane SEHEN, HÖREN, RIECHEN, FÜHLEN SCHMECKEN wurden angeregt. Aber was passierte in den 5 Min.?
In den Darstellungen der Rollenpartner wurden die Wahrnehmungen artikuliert. Fast einheitlich wurde festgestellt, dass die Partner sich nahegekommen sind. Körperliche Nähe wurde gefühlt. Die wohlige Stimme tat gut. Eine Betroffene hatte ein ungutes Gefühl bei der Berührung und als sie die Stimme zusätzlich vernahm, wandelte sich das Gefühl in ein angenehmes um.
Das Fazit von Karl-Eugen Siegel:
„Im Zustand des tiefen Komas und insbesondere im Hirntod ist der Mensch möglicherweise durch das fehlende Bewusstsein Manipulationen direkt ausgesetzt und somit seiner Umgebung
ausgeliefert. Hier ist die größte Sorgfalt im Umgang mit diesem Menschen gefragt. Wir wissen nicht, was wir in diesem Zustand mit diesem Menschen tun. Wer die z.T. verheerenden Folgen einer physischen Gewalt bei Traumaopfern erlebt hat, der kann vielleicht erahnen welche Auswirkungen ein unmittelbarer Eingriff auf die Psyche eines Menschen haben kann. Natürlich WISSEN wir dies nicht, aber es gibt Hinweise, dass wir dies in den Bereich des Möglichen bringen müssen.“
Zum Schluss waren sich alle einig. „Wir haben etwas dazu gelernt!“. Eine sehr gute Veranstaltung fand ihr Ende in der Hoffnung, dass sich diese Veranstaltung auch an anderen Orten wiederholen lässt.